Von Tulcea nach Constanta: Endspurt

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Heute habe ich nach 2.980 Kilometern im Sattel den Endpunkt des Donauradweges und des EuroVelo 6 in Constanta am Schwarzen Meer erreicht. Ab jetzt geht es endgültig heimwärts. Ich freu mich auf mein Bett!

19.10.2020
Am gestrigen Tag bin ich mit dem Schnellboot von Sulina aus zurück nach Tulcea gefahren und habe dann im wesentlichen nicht mehr viel gemacht. Da gibt es nicht so viel zu erzählen.
Heute bin ich relativ zeitig los, da ich echt früh aufgewacht bin und einfach nicht mehr einschlafen konnte. Das Wetter ist nach wie vor herrlich, aber der bereits vor ein paar Tagen angekündigte Temperatursturz hat sich eingestellt. An meinem Abreisetag in Egling – ein wirklich scheußlicher Tag! – hatte ich zuletzt eine Mütze auf. Die brauch ich heute aber wieder – ebenso meine Jacke.
Mein erster Weg führt mich nochmal in die Stadt, denn auch in Sulina konnte ich keine Postkarten auftreiben. Zwar habe ich auch in Tulcea schon alles abgeklappert, aber es fehlt noch ein kleines Infobüro vom Naturpark Donaudelta (oder was auch immer das Gebiet für einen Schutzstatus hat. Ein Nationalpark ist es glaube ich nicht). Das Büro hatte am Freitag als ich in Tulcea ankam bereits geschlossen und war am Wochenende gar nicht besetzt. Und tatsächlich: Hier finde ich Postkarten. Allerdings nur absolute Notnägel. Die Postkarten sind klassisches Werbematerial. Ziemlich hässlich und nichtssagenden. Den größten Platz auf dem Bild nimmt das Logo der EU ein und die Rückseite ist nahezu vollständig bedruckt. Ich packe trotzdem genug Karten ein, damit ich wenigstens ein Backup habe, wenn gar nichts besseres mehr kommt. Anschließend mach ich mich auf die Socken. Hinter Tulcea gehts nochmal bergauf – die letzten Ausläufer des Macin-Gebirges. Dann sehe ich aber schon bald das Meer, dass mich heute immer wieder begleitet. Das Meer ist hier aber nicht offen (und vermutlich auch nicht so sehr zum Baden geeignet), denn dem Land vorgelagert sind hier überall kleine Inseln und Landzungen. Teilweise trennen sie große Lagunen ab, die nahezu vollständig verschilft sind. Das ganze erinnert ein bisschen an die Boddenlandschaft unserer Ostsee. Ich vermute, dass das auch noch Ausläufer des Donau-Deltas sind. Die Orte hier wirken sehr gepflegt. Die Straßen sind tip top. Die Landschaft selbst wirkt etwas kahl. Das liegt vor allem daran, dass es hier riesige, gigantische Felder gibt, die jetzt alle abgeerntet und gepflügt sind. Leider gibt es weder Hecken, noch Wald. So ist um diese Jahreszeit alles braun. Die sanften Hügel im Hinterland sind komplett mit Windkraftwerken bestückt. Die großen Agrarflächen und die Windparks sind wieder so eine Parallele zu Mecklenburg-Vorpommern. Nur ist es hier an der rumänischen Küste nicht ganz so flach.
Mein heutiges Tagesziel heißt Baia. Ich habe lange überlegt, ob ich die letzten 145 Kilometer nach Constanta am Stück fahren soll. Das hätte ich mittlerweile von der Kondition her gut gepackt, aber bei den kurzen Tagen wäre es doch ein bisschen eng geworden und ich will nicht in der Dunkelheit fahren. Ich habe dann beschlossen, es entspannt angehen zu lassen. Ich muss ja keinen Blumentopf mehr gewinnen und so wurde eben auf halbem Weg in Baia nochmal eine Nacht eingeplant
Das war dann ein reichlich surreales Erlebnis. Als ich von Tulcea aus einen Unterkunft gesucht habe, fand ich das „Hotel Mondial“ in Baia, das mit vier Sternen für sich geworben hat. Der Preis war jedoch spottbillig und das Haus ohnehin das einzige am Platz. Also hab ich nicht lange überlegt und das gebucht. In meiner Vorstellung war das Hotel Mondial mit seiner Lage unweit des Meeres ein klassisches Touristenhotel. Die Realität sah dann ganz anders aus.
In Baia bin ich von einer Seitenstraße kommend auf eine große Fernstraße abgebogen, die Constanta mit Tulcea verbindet, während der Radweg ein bisschen mehr durchs Hinterland geht. Baia ist ein reiner Straßenort an der Fernstraße mit Tankstelle und Supermarkt. Nichts besonderes, aber vor allem kein Ort für ein Touristenhotel. Eher fuer ein Motel. Da habe ich mich schon ein bisschen gewundert. Meine Verwunderung wurde größer, als mich das Navigationsprogramm wieder aus dem Ort hinaus geleitet hat. Laut Google Maps sei das Hotel in 500 Metern auf der linken Seite. Was ich jedoch auf der linken Seite hinterm Ortsausgang sehen konnte war ein großer Industriekomplex, der sich später als Ölmühle herausstellen sollte. Da erinnerte ich mich, dass irgendwo im Internet stand, die Adresse sei auf irgend einer Karte falsch eingetragen. Vielleicht bin ich ja falsch? Ich hab alles nochmal überprüft, aber nein – das muss da vorne sein. Also los. Auf Höhe des besagten Industriekomplexes führte dann eine kleine Zufahrtsstraße auf ein etwas hinterhalb gelegenes Grundstück. Die Zufahrtsstraße war rechterhand gesäumt von der Ölmühle und linkerhand von einem Lagerplatz. Zu beiden Seiten gab es hohe Zäune, die mit einem grünen Fließ behangen waren, um den Blick auf die Industrieanlagen zu verbergen und auf dem hinteren Grundstück: Tatsächlich, ein Hotel.
Ich kann mir beim besten Willen keinen unpassenderen Platz für ein Hotel vorstellen und frage mich nach wie vor, was da wohl schief gelaufen ist. Musste der Besitzer der Ölmühle Geld waschen und hat deshalb ein Hotel gebaut? War das Hotel zuerst da und dann kam die Industrie? Ich kann es mir echt nicht erklären. Tatsache ist, da steht im Hinterhof einer großen Industrieanlage, von großen Sichtschutzzäunen umgeben, ein gar nicht kleines Hotel mit Restaurant, Kinderspielplatz und Swimmingpool. Ich verstehe die Welt nicht mehr.
Geschlafen habe ich jedenfalls gut, im Hotel Mondial in Baia.

20.10.2020
Auf einer Stichstraße verlasse ich die Fernverkehrsstraße und bin nach kurzer Zeit wieder am Meer. Die erste Hälfte meiner heutigen Etappe gleicht dem Vortag und ich strampel vergnügt vor mich hin. Es läuft gut heute, das Eisen.
Bei Corbu ist es dann vorbei mit Ruhe und Beschaulichkeit. Die Städte Corbu, Navodari, Mamaia und Constanta sind eine einzige, riesengroße Agglomeration. In Navodari dominieren eine gigantische Raffinerie und der dortige Hafen das Stadtbild. Die Straße ist nunmehr vierspurig ohne Radstreifen und es gibt viel Verkehr. Hinter Navodari beginnt eine ungefähr 10 Kilometer lange Landzunge, auf der der Badeort Mamaia liegt. Das ganze erinnert an die Kurische Nehrung mit dem Haff auf der einen Seite und der Ostsee auf der anderen Seite. Ich lese allerdings hinterher, dass das „rumänische Haff“ ein Süßwassersee ist, obwohl der Landstreifen von Mamaia selbst nur wenige hundert Meter breit ist.
Als Badeort schickt sich Mamaia an, alle Bausünden, die man andernorts auf dieser Welt in Tourismusgegenden bereits bereut hat, zu wiederholen. Hässliche Hotelklötze und noch hässlichere Apartmentgebäude aller Preisklassen säumen die vierspurige (teilweise sogar sechsspurige) Straße rechts und links. Viele Gebäude sind noch im Bau. Andere sind irgendwie nie fertig geworden und verfallen bereits wieder. Käufliche Apartments scheint es hier ohne Ende zu geben, wenn man der Werbung folgt. Ist das vielleicht der Rumänische Traum? Ein Condo in Mamaia?
Zunächst freue ich mich jedoch darüber, dass es endlich einen Radstreifen gibt. Dieser entpuppt sich aber als Radweg des Grauens. Teilweise ist er von am Straßenrand stehenden Bäumen und Büschen einfach eingewachsen. Schlagloch folgt auf Schlagloch, obwohl der Weg neu ist (und in Teilen noch nicht mal fertig). Überall liegen Glasscherben herum. Alle paar Meter landet man an einer Kreuzung. Hier ist jedoch nicht wie man das erwarten würde der Bordstein abgesenkt, sondern der Radweg endet regelmäßig vor einer hohen Bordsteinkante. Das heißt dann 50 Meter fahren, absteigen, über Bordsteinkante und Straße schieben, wieder aufsteigen, wieder 50 Meter fahren und von vorne. Mein einziger Gedanke: Warum? Wenn man schon Geld fuer einen Radweg in die Hand nimmt, kann man das dann nicht ein bisschen ordentlicher machen? Nur ein kleines bisschen? Ich bin schwer versucht wieder auf der Autobahn zu fahren und das hätte ich auch tun sollen. Denn ca. 8 Kilometer vor Constanta stehe ich mit meinem Vorderrad auf der Felge. Juhu – Platten auf der Zielgeraden. Ich schiebe mein Rad auf den Parkplatz eines bereits verfallenden und nie fertig gestellten Hauses und mache mich ans Werk. Ich überlege kurz ob ich flicken oder den Schlauch austauschen soll. Ein Blick auf den Mantel zeigt mir aber sofort, wo der Hase im Pfeffer liegt. Mein Reifen ist komplett perforiert von kleinen Dornen. Der Schlauch drunter hat nicht nur ein Lauch, sondern mindestens eine Handvoll Löcher. Ängstlich schiele ich zu meinem Hinterreifen und tatsächlich – auch der verliert Luft. Hervorragend! Auf den letzten Kilometern beide Reifen geschrottet und zwar so richtig. Da war wohl einer der Büsche, die den Radweg zu überwachsen drohten, ein böser Busch. Gemerkt hab ich nichts. Gesehen auch nicht. Aber die Dornen sind richtig fies. Klein und spitz. Zum Glück hatte ich beim letzten Platten meinen Schlauch im Nachgang noch geflickt und einen neuen hatte ich ohnehin noch im Ersatzteillager. Trotzdem war ich erst mal ganz ordentlich beschäftigt, meine Reifen von den Dornen zu befreien. Ich weiß auch nicht, ob mir das vollständig gelungen ist. Viele der Dornen waren abgebrochen und nur die Spitze steckte im Gummi. Diese würde natürlich beim Weiterfahren tiefer wandern können und auch den neuen Schlauch wieder beschädigen. Ich habe alleine am forderten Reifen 23 Dornen gezählt. Hinten war es nicht ganz so schlimm, aber immer noch mindestens 10. Unglaublich!
Das ganze hat ein Weilchen gedauert, aber schließlich hatte ich beide Reifen wieder fit und hab in Constanta gleich mal noch einen Schwenk zu einem Radhändler gemacht um mich mit neuen Schläuchen einzudecken. Irgendwann brauch ich die bestimmt….vielleicht ja morgen auf dem Weg zum Bahnhof?!
In Constanta selbst wurde dann der Radweg auch ordentlich und die letzten Kilometer waren dann wieder ganz entspannt.
Der EuroVelo 6 vom Atlantik ans Schwarze Meer ist in weiten Teilen deckungsgleich mit dem Donauradweg und beide enden ganz unspektakulär auf einer kleinen Halbinsel neben dem Hafen von Constanta. Nicht mal ein Schild weist darauf hin, dass hier ein europäischer Fernradweg beginnt oder endet.
An der Promenade von Constanta gibt es ein ganz berühmtes Gebäude: Das alte Casino. Bitte unbedingt mal auf dem Link klicken. Das Gebäude gehört sicherlich zu den berühmtesten Jugendstilgebäuden überhaupt und es ziert zahlreiche antike Postkarten. Ein Bauwerk, dass man irgendwie kennt… Das Casino steht allerdings seit vielen Jahren leer und rottet vor sich hin. Als ich zuletzt etwas darüber gelesen habe, gab es Auseinandersetzungen mit einem Investor, der das Gebäude gekauft hat, es dann aber weiter verfallen hat lassen. So war die Promenade von Constanta über Jahrzehnte von einer wirklich beeindruckenden Ruine gesäumt. Vor diesem Gebäude wollte ich eigentlich ein beeindruckendes Abschlussfoto machen. Und wie sieht es da gerade aus?

Casino von Constanta

So sieht es da gerade aus. Gut für das Casino und die Stadt, schade um mein Schlussfoto. Ich habe dann einfach einen Passanten gebeten, daneben ein Foto von mir mit Rad zu machen und dem Meer im Hintergrund. Das ist auch nett.

Anschließend steuere ich ein Souvenirgeschäft an, dass ich im Internet ausfindig gemacht habe und werde erlöst: Endlich Postkarten. Auch diesmal keine absoluten Schönheiten, aber immerhin! Ich bin begeistert!
In meiner heutigen Unterkunft empfiehlt mir ein Mitarbeiter, noch heute zum Bahnhof zu gehen und nach Zügen zu schauen. Er wäre gestern von seinem Heimatdorf aus angereist und es gäbe irgendwelche Fahrplanverschiebungen. Außerdem erzählt er mir, dass Bukarest vermutlich in den nächsten Tagen innerrumänisch abgeriegelt wird wegen der hohen Corona-Zahlen. Mir wird ein bisschen mulmig. Nicht wegen der Fallzahlen – anstecken kann ich mich zu Hause auch und ich hab nicht vor, mich in irgendwelche exponierten Situationen zu begeben. Mir wird vor allem mulmig weil ich wieder an das Frühjahr denke und daran, wie schnell die Grenzen plötzlich dicht waren. Am Bahnhof sieht dann aber erst mal alles gut aus. Die Züge sind heute nach Plan gefahren und für morgen ist nichts gegenteiliges bekannt. So löse ich eine Fahrkarte für einen Zug um 12:50.
Zurück im Apartment mache ich mich an die Postkarten. Als ich gerade so richtig schön am schreiben bin, macht meine Handy hinter mir plötzlich ein unglaublich lautes und schrilles Alarmsignal wie ich es noch nie gehört hab. Mein erster Gedanke ist, ob vielleicht etwas mit dem Akku nicht stimmt? Gerät überhitzt? Es klingt wie ein Feueralarm.
Auf dem Bildschirm ist auch eine große Warnmeldung. Ich kann sie aber nicht lesen – rumänisch. Da wird mir aber klar, was das für ein Alarm war. Handys sind ja über eine Notfallfrequenz zum Beispiel durch Regierungen erreichbar (wenn vor Terroranschlägen oder Tsunamis gewarnt werden soll). Genau so eine Meldung ist bei mir eingegangen. Auch wenn ich den Text nicht lesen kann ist sofort klar, dass es um die Pandemie geht. Ich mach mich erst mal ans übersetzen und stelle dabei aber fest, dass der Inhalt so dramatisch gar nicht ist. Die Stadt Constanta verhängt aufgrund der steigenden Fallzahlen eine allgemeine Mundschutzpflicht in der ganzen Stadt. Also ähnliche Maßnahmen, wie wir sie aktuell auch in München oder Hamburg haben. Dass man dafür den absoluten Notfallkanal benutzt und mir so einen Schreck einjagt, finde ich etwas übertrieben…
Bekannte in Bukarest sagen mir, dass sie ebenfalls so eine Meldung bekommen haben. Auch in Bukarest gibt es weitere, noch strengere Maßnahmen, aber noch keinen Lockdown. Meine Bekannten meinen, dass die Maßnahmen auf 14 Tage befristet wurden und nicht davon auszugehen ist, dass innerhalb der nächsten Woche eine weitere Verschärfung kommt. Das will ich mal hoffen…. Es wird auf die letzten Meter auf jeden Fall nochmal ein bisschen spannend. Aber es wird schon werden. Auch mein Zug am Freitag nach Wien ist nach wie vor geplant. Ich bleib da mal ganz optimistisch und mach mich jetzt wieder an meine Postkarten.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Elisabeth Widmann

    Eine Etappe ohne Pannen wäre ja ein Wunder gewesen!? Hoffentlich kommst du bei deinem Glück jetzt noch heim, bevor wieder alle Grenzen dicht machen. Wir sollen inzwischen sogar am Auensee Masken tragen. Vielleicht wäre ein Flug doch gescheiter gewesen? Freue mich auf ein baldiges Wiedersehen! Mama

    PS: War heute beim Zahnarzt, und Herr Lutz hat nach dir gefragt. Hab ihm dann von deiner Radtour erzählt. Soll schöne Grüße ausrichten und er hat gesagt, seine Eltern haben diese Tour vor einigen Jahren gemacht, als beide in Rente waren.

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