Es ist kaum zu glauben, aber nun bin ich tatsächlich am Ziel einer langen, langen Reise. Ich habe noch ein bisschen etwas vor mir bevor es zurück geht und mit einem würdigen Schlusswort warte ich daher noch ein bisschen. Trotzdem ist völlig klar, dass der heutige Tag etwas besonderes ist: Er markiert mein erklärtes Ziel.
Am 01.09.2020 bin ich in Egling an der Paar aufgebrochen. Dem Flüsschen Paar bin ich bis zu seiner Mündung hinter Ingolstadt in die Donau gefolgt. Seitdem war der zweitgrößte und zweitlängste Fluss Europas mein ständiger Begleiter (von der Ungarn-Umfahrung einmal abgesehen). Ich hab geschwitzt und gekämpft, hab mich gefreut und genossen, hab mich geärgert und mich selbst für diese Idee verflucht. Etliche Pannen, durchnässte Kleidung, kalte Nächte im Zelt. Alles vergessen – ich bin da.
17.10.2020
Nach Sulina kommt man von Tulcea aus entweder mit der staatlichen Fähre von Navrom oder mit zahlreichen Schnellbooten. Nachdem ich vom Tag vor Ort noch etwas haben will entscheide ich mich für die etwas schnelle Variante. Um 10:00 am Morgen verlässt das Boot von Delta Star den Anleger in Tulcea. An Bord sind 18 Leute – damit ist das kleine Schiffchen nahezu ausgebucht.
Unterwegs halten wir drei mal an. An abgelegenen Donau-Delta-Hotels werden Kisten mit Vorräten abgegeben oder es steigt auch einmal jemand aus.
Die Donau ist im Delta übrigens in drei Hauptarme verzweigt. Alle drei sind meines Wissens nach auch schiffbar. Der Sulina-Arm ist der mittlere. Er geht ziemlich kerzengerade von Tulcea aus gen Osten. Landschaftlich ist hier wenig geboten. Das Donau-Delta habe ich ebenfalls bei meiner ersten Rumänien-Reise auch von seiner eindrucksvollen Seite kennen gelernt, aber dafür muss man mit einem Boot in die kleineren Arme und Verzweigungen. Der Sulina-Arm ist gerade und an beiden Ufern befestigt. Er gleicht damit der Donau an ihren vielen befestigten und begradigten Streckenabschnitten.
Sulina selbst ist die einzige Stadt im rumänischen Teil des Donau-Deltas und ist nicht an das Straßennetz angeschlossen. Etwas mehr als 3000 Menschen leben hier an der Mündung ins Schwarze Meer.
Sulina hat eine Geschichte als bedeutende Hafenstadt. Im 19. Jahrhundert war hier sogar der Sitz der europäischen Donaukomission. Doch die glorreichen Zeiten sind lange vorbei. Größere Donauhäfen (mit Straßenanbindung) haben Sulina längst den Rang abgelaufen und heute sind ca. 40 Prozent der Einwohner arbeitslos. Die Stadt sucht ihr Heil im Tourismus, der aber, wie man immer wieder liest, noch in den Kinderschuhen steckt.
Ich hätte das anders formuliert. Der Tourismus ist omnipräsent, allerdings fokussiert der sich bisher nur auf ein rumänisches Publikum. Ich war tatsächlich noch selten an einem offensichtlich touristischen Ort, an dem man mit Englisch wirklich überhaupt nicht weiterkam. Und zwar egal wo.
Am Donaukai reiht sich hier ein Anbieter für Bootstouren an den nächsten, aber keiner spricht Englisch. Erst mit Google Translate ist es mir schließlich gelungen, mein Anliegen bei einem Anbieter durchzusetzen: Ich will zum alten Leuchtturm, dem Donaukilometer 0, und danach einmal raus bis ans Meer.
Tja – dumm gelaufen. Alle anderen Leute wollen nämlich lieber Ausflüge ins Delta selbst unternehmen. Das kann ich sogar verstehen, aber bei mir geht es ja um den symbolischen Abschluss eines großen Projektes.
Ich versuche mein Glück bei drei Anbietern, die mir alle sagen, dass sie das heute nicht machen können. Der dritte erklärt sich dann bereit, allerdings macht er seine Touren normalerweise nur ab 6 Personen. Er bietet mir an, mich für 16:00 auf die Liste zu nehmen – vielleicht kämen ja noch andere Leute. Andernfalls müsse ich einen relativ hohen Single-Preis bezahlen.
Es hilft ja nichts – ich kann nicht unverrichteter Dinge hier wieder abziehen. Ich willige ein und mache mich erst mal noch auf die Socken, Sulina zu Fuß zu erkunden.
Ich versuche zunächst einmal, in irgend einer Form zu Fuß an die Flussmündung zu kommen. Google Maps suggeriert mir, dass das gehen müsste. Während ich da aber so durch die Gegend streune, scheint es vor allem daran zu scheitern, dass immer irgendwo ein Zaun oder ein Tor auftaucht und ich doch nicht mehr weiterkomme. Ich gebe es schließlich auf und widme mich zwei Sehenswürdigkeiten von Sulina: Dem Friedhof und dem Strand. Der Friedhof ist eine Besonderheit, weil hier Muslime, Christen und Juden auf einem Platz beerdigt wurden. Zwar hat jede Glaubensrichtung ihre Ecke, dennoch ist dieser Platz ein Beleg dafür, dass die Donauschifffahrt immer schon etwas multikulturelles war. Auch die Inschriften der Grabsteine sind vielsprachig. Vor allem fallen mir viele griechische Grabsteine auf – ich konnte aber nicht herausfinden, wie es dazu kommt.
Der Strand von Sulina ist feinsandig und leer. Außer mir sehe ich nur ein Paar, dass dort spazieren geht. Im Sommer könnte das ein ziemlich toller Badestrand sein – macht einen guten Eindruck. Aber zum Baden ist mir persönlich gerade schon ein bisschen zu frisch. Immerhin – ich habe auch ohne Bootsfahrt nun schon einmal das Schwarze Meer gesehen.
Um 16:00 hab ich ein Treffen mit dem Bootsführer und ja – ich bin alleine. Ich fürchte, dass der Preis den ich dann fuer meine Privattour entrichten musste, ein absoluter Touri-Preis war, aber ich kann es nicht ändern. Und letztendlich kommt es darauf jetzt auch nicht mehr an. Endlich geht es auf der Donau die letzten Meter hinaus aufs Meer.
Der alte Leuchtturm von Sulina markiert den Donaukilometer 0. Ein Schild findet sich hier aktuell keines. Auf dem Weg von Tulcea nach Sulina waren die Kilometer immer noch brav durchnummeriert. Das letzte Schild das ich gesehen habe, war der Kilometer drei. Tatsächlich wurde aber bei diesem Leuchtturm mit der Flussvermessung begangen. Der Leuchtturm von 1887 ist heute vor allem ein Beleg dafür, welchem unglaublichen Wandel das Delta unterworfen ist. Markierte er damals noch die Grenze zum Meer, steht er nämlich heute mehrere Kilometer im Landesinneren. Man ist noch ein ganzes Stück unterwegs, bis man vom alten Leuchtturm aus endlich das offene Meer erreicht. Die meiste Zeit davon wird die Donau dann allerdings von künstlich aufgeschütteten Kaimauern gesäumt. Mir wird klar, dass ich zu Fuß hier auch ohne verschlossene Tore wenig ausrichten hätte können. Die Kaimauern ziehen sich mehrere Kilometer hinaus ins Meer und sind nicht begehbar. Den Übergang zum offenen Meer markiert dann schließlich ein düster anmutender, neuer Leuchtturm.
War ich gestern noch der Meinung, noch nicht richtig am Ziel angekommen zu sein, tut sich beim Donaukilometer 0 dann doch etwas in mir. Mir fällt ein gigantischer Stein vom Herzen – ich hab es tatsächlich geschafft. Kurz danach kullern auch ein paar Tränen. Für mich war das eine der größten Herausforderungen, denen ich mich jemals gestellt habe. Ich weiß, dass es Leute gibt, die das verstehen können und andere werden da nur milde lächeln, weil sie selbst viel extremere Dinge als Herausforderung betrachten. Jeder Mensch hat seine persönliche Komfortzone. Ich bin mit dieser Reise ein ganzes Stück über das hinaus gegangen, was ich mir selbst zugetraut hätte. Ich war noch nie ein großer Radfahrer (mal abgesehen vom Arbeitsweg) und auch noch nie eine große Sportskanone. Mich aufs Rad zu setzen und knapp 3000 Kilometer quer durch Europa einem Fluss zu folgen ist für mich auf jeden Fall nicht alltäglich. Auch die Länder durch die ich bekommen bin haben mir hier und da schon auch etwas abverlangt. Und nun bin ich tatsächlich am Ziel. Ich bin stolz wie Hulle. Und richtig, richtig erleichtert!
Am Ziel!
Was ich mich da schon frage: Wenn ich jetzt einen Liter Donauwasser untersuchen könnte, wieviele Moleküle vom Paar-Wasser würden sich darin wohl finden?
Kaum habe ich mit meinem Privatboot das offene Meer erreicht, biegen wir nach links ab und passieren ein Schiffswrack. Beleg dafür, dass das Meer hier nicht immer so freundlich ist und man bei ordentlich Wellengang die Einfahrt in die Donau auch mal verpassen kann. Ein pittoresker Anblick!
Die Rückfahrt findet auf dem offenen Meer statt. Die Donau liegt hinter ihrem künstlichen Damm zu unserer linken. Wir kommen wieder in den Hafen von Sulina durch einen der vielen kleinen Seitenarme des Deltas und so erlebe ich auch auf dieser Reise nochmal ein bisschen Delta Feeling.
An dieser Stelle möchte ich meinem Blog noch nutzen, um mich nochmal bei allen zu bedanken, die an meinem kleinen, monetären Unterstützungsaufruf teilgenommen haben. Vielen Dank – ich war wirklich überwältigt. Mein Zug für die Heimreise ist übrigens nunmehr gebucht – den konnte ich mir dank der Unterstützung nun problemlos leisten.
Mein Versprechen mit der Karte werde ich irgendwie halten — ich muss nur Karten finden. Bisher hatte ich hier noch kein Glück, obwohl ich schon einiges unternommen habe. Aber irgendwie bekomme ich das hin. Trotzdem möchte ich euch auch hier kurz verewigen. Die Reihenfolge ist willkürlich.
Vielen lieben Dank an:
Nadine
Claudia
Joschka und Charly
Joscha
Pauline
Max
Johannes
Tobias
Mama
Michaela
Nele
Tom
Georgina
Milena
Cathrin
Sophia
Corinna
Anschi
Moni und Bernhard
Oma
Mein Bruder Joe
Papa
Georg und Marianne
Ich hoffe sehr, dass ich niemanden vergessen habe.
Es gibt noch eine ganze Reihe von Menschen, die mich darüber hinaus auch moralisch unterstützt haben. Aber die hören noch einmal gesondert von mir 😉
Den hier genannten jedenfalls von ganzem Herzen vielen Dank – ich muss viele Karten schreiben!
Ein tolles, erfolgreiches Ende für diese Reise.
Ich werde deine Berichte vermissen. Das war wirklich spannend zu lesen.
Ich hoffe wir erleben bald wieder auch Abenteuer zusammen.
Wow- unglaublich!!! Ja, und deine Berichte werde ich auch vermissen … war gedanklich oft dabei!
Das Abenteuer geht weiter …. Ich wünsch‘ Dir weiterhin alles Gute und bin gespannt, wie es weiter geht.
Herzlich, Georgina
Ich bin gerade in Sulina angekommen (ebenfalls mit Rad der Donau gefolgt) und hab deinen Blog beim Googlen gefunden. Sehr schön! Ich teile deine Erfahrungen!
Glückwunsch 😀 Ist bei mir schon wieder viel zu lange her…. Ich nehme an, 2022 waren auch wieder ein paar Radler mehr unterwegs, oder?