Von Negotin nach Vidin und kurzes Resümee der 6. Etappe

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05.10.2020
Der Vorabend in Negotin hat mich noch ein bisschen geärgert. Zum einen erfuhr ich, dass in meiner Unterkunft keine Kreditkartenzahlung möglich sei. Auf der Suche nach einem Abendessen hab ich in drei Pizzerien (was anderes gab es nicht) gefragt und auch dort musste man mit Bargeld zahlen. Auf dieser Reise tatsächlich das erste mal. Blöd war das deshalb, da mein Bargeld eben genau um 10 Euro nicht mehr gereicht hat und ich ja nach Bulgarien weiterfuhr. Nützte aber nichts. So habe ich nochmal 1000 Dinar abgehoben (knapp 10 Euro) und dafür 5 Euro Gebühren bezahlt. Ich habe eine Karte, mit der ich gebührenfrei abheben kann, aber die wiederum wurde von drei Geldautomaten nicht akzeptiert. Auch meine Kreditkarte hat erst am 3. Automat funktioniert. Das hat sich also ziemlich gelohnt. Für das überteuerte Bargeld hab ich dann noch die schlechteste Pizza der ganzen Reise gegessen. Na dann.
Nach dem Frühstück bin ich heute jedenfalls Richtung Grenze aufgebrochen. Die ersten 20 Kilometer gingen nochmal richtig schön ins hügelige, serbische Hinterland. Ich kam durch den kleinen Ort Mukranje, der mir vor allem durch einen großen und gut gepflegten Wanderparkplatz auffiel. Auf einer Hinweistafel lese ich, dass hier EU-Interreg-Gelder reingeflossen sind und eine gemischte Tour für Fahrrad, Kajak und Wanderung entwickelt wurde. Das muss ich mir zu Hause nochmal genauer ansehen. Der Touristiker in mir findet sowas nämlich immer spannend.

An dieser Stelle noch ein kleiner Exkurs:
In ganz Serbien sind mir immer wieder Neubauten aufgefallen, die wirklich von erlesener Geschmacklosigkeit waren. Die Häuser selbst waren dabei auf sehr unterschiedliche Art und Weise hässlich. Allen gemein war jedoch, dass man das Grundstück mit einem wirklich monumentalen Zaun umgeben hat. Da kam Marmor ins Spiel und Edelstahl. Sehr oft auch buntes Glas und goldene Metallteile. Irgendwie hab ich vergessen, das mal vernünftig zu fotografieren. In Mukranje hab ich dann aber doch noch ein Foto geknipst. In diesem Kontext eigentlich ein eher schlichter Zaun – ich hoffe man kann erkennen, was ich meine. Oft bellt dann hinter so einem Zaun noch ein amtlicher Kampfhund. Besonders tragisch finde ich das, weil es in den meisten Orten wunderschöne, alte Häuser gibt, die einfach verfallen. So war dann auch keine drei Grundstücke weiter eine wunderschöne alte Villa. Was ich hier beschreibe scheint wirklich symptomatisch zu sein für diese Ecke der Welt. Ich überlege woran das wohl liegt. Ich denke, dass die etwas wohlhabenderen Bauherren, die hier mit ihrem Zaun-Pling-Pling zeigen müssen was sie haben, wohl so ungefähr in meinem Alter sein dürften. Die haben Kommunismus erlebt und Krieg. Vielleicht ist es nachvollziehbar, dass die keine Lust mehr auf den alten Scheiß haben, den meiner einer so schön findet, aber mir gelingt es nicht mal mit viel Mühe mir vorzustellen, wie man so einen Zaun hübsch finden kann. Zu zeigen was man hat ist ja durchaus menschlich. Ich denke hier gerade auch an die ganzen Schaufassaden, wie man sie z.B. An Häusern der Backsteingothik in Deutschland findet oder ganz allgemein an Jugendstilhäuser. Warum nicht also ein Zaun anstelle einer Schaufassade. Aber so einer?! Vermutlich bin ich ignorant und sollte die Klappe halten.

An der Serbisch-bulgarischen Grenze wollte der serbische Grenzbeamte noch allerlei komisches Zeug von mir wissen. Dann durfte ich aber problemlos ausreisen. Auf der bulgarischen Seite war überhaupt niemand im Grenzerhäuschen, aber die Schranke war zu. Also hab ich an einer Baracke geklopft und ein junger Grenzer hat mich nach einem kurzen Blick auf den Ausweis ziemlich kommentarlos durchgelassen. Corona hat mir hier jedenfalls keine Probleme gemacht. Die Grenze selbst war aber restlos verweist. Kein Auto, kein LKW. Nichts. Ob für Bulgaren und Serben hier andere Regeln gelten als für mich? Möglich. Ich finde so verwaiste Grenzen ein bisschen gruselig, aber ich glaube das hab ich schon einmal geschrieben.
Ja – und dann bin ich in Bulgarien, dem 6. Land auf meiner Reise. Gleich hinter der Grenze hebe ich in Bregovo an einem wunderbar grauen, verwaisten und kommunistischen Stadtplatz dann auch die vierte Währung auf dieser Reise ab. Bulgarische Lew. Sind Grenzorte eigentlich immer so schäbig? Das ist so ein Phänomen, dass mir auf dieser Reise irgendwie durchgehend begegnet.

In Bulgarien und zurück in der EU

Nach Bregovo folge ich der Donau wieder um eine große Schleife. Ich komme durch kleine, verschlafene Nester. Die Straße ist meistens ganz leidlich. 10 Kilometer lang habe ich das Vergnügen mit einem Feldweg und ich bin heilfroh, dass es heute trocken ist. Der Weg ist nämlich wieder eine Sandpiste und wäre bei Regen im Nu eine einzige Schlammtrasse. Ich hab heute gar nicht so wahnsinnig viele Kilometer, aber das Fahren strengt mich heute sehr an. Ich bin froh, dass ich am Spätnachmittag Vidin erreiche. Hier geht die sechste und sehr durchwachsene Etappe meiner Reise zu Ende.
Vidin selbst hat eine ziemlich hübsche Festung, eine Promenade an der Donau, 500 Meter Fußgängerzone und sehr beeindruckend: Die Ruine einer Synagoge. Darüber hinaus dominiert auch hier kommunistische Planarchitektur und die Stadt passt zum herbstlichen Wetter.
Auf meinen ganzen Reisen im Baltikum, in Rumänien oder auch jetzt in den ehemaligen jugoslawischen Ländern bin ich immer wieder beeindruckt, mit welcher Stilsicherheit es den kommunistischen Bauherren gelungen ist, mit Beton und Stahl bedrückende, trostlose und absolut geschmacklose Monumente für die Ewigkeit zu errichten. Monumental – keinen Frage. Aber für mich ist unvorstellbar, dass das ernsthaft einmal jemand hübsch fand. Ein paar Highlights des Tages aus Bregovo und Vidin stelle ich hier mal in eine Gallerie. Besonders eindrücklich fand ich den rostigen Skate-Park zu Füssen der grauen Betonstele am Donauufer in Vidin – eine weitere Freiheitsstatue.

Um hier heute nicht aber nicht nur in grauem Kommunismus zu schwelgen, möchte ich natürlich auch noch kurz die Bilder der Synagoge und der Festung von Vidin online stellen:

Ein paar Begegnungen möchte ich hier noch kurz Schildern. Hier in meiner Unterkunft habe ich einen Studenten kennen gelernt. Sein Vater ist Spanier, die Mutter Bulgarin und er studiert und lebt seit vielen Jahren in Frankreich. Er hat direkt gegenüber ein Haus geerbt. Eigentlich mehr eine Ruine, zu der er nicht einmal einen Schlüssel hat. Dazu kommt, dass die Grundsteuer wohl seit 2001 nicht mehr bezahlt wurde. Er hat gerade Zeit und versucht zusammen mit einer Mutter die rechtlichen Aspekte der ganzen Sache zu bereinigen und will es dann verkaufen. Er spricht ein gutes Englisch und ist ziemlich erstaunt darüber, was mich ausgerechnet nach Vidin verschlägt. „Small country, big corruption“ ist seine Meinung über sein Heimatland. Junge und vor allem gut ausgebildete Menschen gehen wie er in andere Länder der EU – die Kehrseite der Freizügigkeit. Zurück bleiben alte Menschen mit Anspruch auf Rente und kaum jemand, der die Steuerlast trägt. Seiner Meinung nach geht das Land seiner Mutter vor die Hunde. Ich erzähle ihm, dass es im Baltikum genau den selben Trend gab. Die Bevölkerung der Länder hat sich teilweise fast halbiert. Mittlerweile legen die drei Balten aber als Wirtschaftswundernationen eine gigantische Kehrtwende hin und die Migrationsströme kehren sich wieder um. Ich meine, dass so eine Entwicklung hier doch vielleicht in ein paar Jahren auch einsetzen könnte? Er ist da nicht so optimistisch.

Dann habe ich gestern Abend einen Hund getroffen. Der kam an der Festung auf mich zu, hat an meinen Beinen geschnüffelt und mich dann bestimmt eine Stunde lang auf meinem Spaziergang durch Vidin begleitet. Heute morgen hat er dann vor dem Hotel geschlafen und ist dann wieder mit mir spazieren gegangen. Jetzt gerade ist er weg, aber ich glaub ich hab einen neuen Freund 😉

Und beim Abendessen hatte ich gestern Gesellschaft von einer Katze. Die hat sich ganz frech auf die Bank mir gegenüber gesetzt. Ich habe mich allerdings nicht erbarmen lassen und blieb hartherzig. So ist sie dann auch wieder verschwunden.

Resümee
Meine sechste Etappe war emotional für mich ich ein ziemliches auf und ab, das vor allem durch meine Fahrradpannen geprägt war. Vom Wetter her war alles dabei: Herrlichster Spätsommer und strömender Regen. Ich hab interessante Menschen getroffen und bin in grauenhaften Nestern wie Kovin festgesessen. Ich hab die schlechteste Pizza und den besten Fisch der Reise gegessen. Ich hatte den herrlichsten Ausblick der Reise auf die Donau und die schäbigste Unterkunft in Negotin. Und vor allem hatte ich alles in allem tolle Hilfe mit meinem Rad und beim anschließenden Weiterkommen.
In Bulgarien bin ich nun gerade erst einen Fahrtag und morgen geht es zunächst einmal nach Rumänien. Auf bulgarischer Seite der Donau bin ich dann später noch einmal. Was mir aber insbesondere auffällt sind zwei Dinge: In Serbien war die Beschaffenheit der Wege sehr unterschiedlich. Von Tip-Top bis kaum befahrbar war alles dabei. Aber egal wie der Weg war, er war immer super ausgeschildert. Seit meinem Grenzübertritt nach Bulgarien fehlt von Schildern jede Spur.
In Serbien habe ich zudem eines wirklich sehr lieben gelernt: die vielen, tollen Bäckereien an jeder Straßenecke. Es gab nicht nur fantastisches, süßes Gebäck (z.B. Diverse Strudel), sondern auch jede Menge herzhafte Dinge. Allen voran seien hier die leckeren Burek zu erwähnen. Sich für den Tag zu verpflegen war ein leichtes und das wirklich für ein paar Cent. In den Bäckereien ist auch wirklich die Hölle los – ich glaube viele Leute frühstücken daheim überhaupt nicht.
In Vidin habe ich heute Vormittag fast zwei Stunden lang versucht, eine Bäckerei zu finden. Ich habe Leute und Google Maps befragt. Ich habe auch das Wort Bäckerei auf Bulgarisch übersetzt und nochmal im Internet gesucht. Ich hab keine gefunden. Ein Mensch hat mich statt zu einem Bäcker zum Supermarkt geschickt. Ja – da gab es auch Brot, aber nichts von dem, was mir aus Serbien so vorgeschwebt war. Stattdessen habe ich viele Bulgaren gesehen, die sich am frühen Vormittag zu ihrem Kaffee ein Stück Pizza reingezogen haben. Im einzigen Laden in der Innenstadt, auf dem Bäckerei stand (natürlich auf Bulgarisch) gab es demnach auch kleine Pizzen und Kuchen. Mein Frühstück war also eine kleine Pizza, ein Kuchen und ein Kaffee. In Rumänien gibt es auch keine besonders ausgeprägte Backkultur und so werde ich die serbischen Bäckereien in jedem Fall vermissen.
Insgesamt kann ich sagen, dass ich mich mit Serbien auf meinen zwei letzten Etappen als Reiseziel durchaus anfreunden konnte.
401 Kilometer habe ich seit Belgrad nun zurück gelegt. Insgesamt bin ich jetzt seit 2025 Kilometern unterwegs und heute ist der 36. Tag meiner Reise. Zwei Etappen und 750 Kilometer liegen jetzt noch vor mir bis nach Tulcea. Das ist immer noch einmal die Strecke von Hamburg nach Egling, kommt mir aber schon fast vor wie ein Endspurt. Morgen und übermorgen erwarten mich die bisher längsten Etappen meiner Radreise und ich bin sehr froh über den heutigen Pausentag. Ich hoffe auf halbwegs anständiges Wetter – der Bericht sieht durchwachsen aus. Und vor allem hoffe ich, dass ich jetzt bis zu meinem Ziel gut durchkomme.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Elisabeth Widmann

    War gestern nochmal im Thalia und hab im Donauradweg/ bikeliner gelesen. Da stand, Kovin ist ein kleines Städtchen mit Geschäften, Restaurants, ….hm? Hab auch die Etappenkilometer gelesen, wie du sagst, nochmal Hamburg-Egling, ich kanns nicht glauben😧, hat auf der Karte so wenig ausgesehen! Ich bekomm ja bloß vom lesen schon Ärschlezwicken. Ich drück dir alle Daumen für eine pannenfreie Restetappe ✊Gruß aus dem regnerischen Kissing! Mama

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